Unter der Platane

Die Dorfplatane und der vergrabene Schatz

So begab es sich, dass Kindersegen anstand im Dorfe zu Ellerkusen, dem kleinen un-eingenommenen und freiheitlich denkenden und stets agil sowie grazil handelnden Dorf im Waldecker Land, das seinesgleichen nicht zu suchen braucht. Gibt’s nämlich nicht nochmal.

Eines Tages, die Gebärmutter kurz vorm explodieren, fuhr ein Peugeot Bus ins Krankenhaus zu Volkmarsen, und schon eine Stunde später kam der kleine Mann zur Welt. Volkmarsen war sein Stammort.

„…und die Nachgeburt?“ fragt die Schwester.

„Die nehmen wir mit, da pflanzen wir einen Baum drauf“, sagt der frisch gebackene Nabelschnurdurchtrenner.

„Im Oktober?“, fragt die Geburtsschwester ungläubig und die Antwort überzeugt.

„Klar, erstmal ein Loch, dann die Nachgeburt hinein und einen Frischling-Baum drauf gesetzt. Der wird schon angehen.“

Da stand er nun über Monate des Winters und Potzblitz, im Frühjahr stand er dann doch im Weg. Das kleine Bäumchen musste zugunsten eines neuen Tischensembles weichen, doch wohin und wer soll sich dran schaffen? Da kommt ein junger Mann daher und fragt nach ein, zwei Tagen Arbeit, er wolle den Führerschein machen, aber die Penunse fehle.

„Nichts leichter als das, Junge“, spricht der Wirt vom Hofe und ergänzt: „Da stehen die Werkzeuge. Den Baum raus, und anderweitig wieder rein ins irdene Gefüge. Ich weise dir den Platz, buddeln wird dein Tagesbrot sein.“

„Da bin ich dabei, nichts leichter als das“, sagt der Jüngling und schreitet tatengierig zu Werke.

Und als auch der neue Standort fürs Platanenbäumchen feststeht, geht der Jüngling sogleich ans Werk, den Baum freizulegen. Nach zwei Stunden kommt er recht erschöpft und beschwert sich über den grottigen Geruch, wenn nicht sagen horrenden Gestank, der unter dem Baum heraus quelle.

Das ist eine recht ungebetene Überraschung, und Mann, Maus und Neugierige gehen schauen, was der Anlass wohl sein möge. Und unter dem Baum, man glaub es kaum, befindet sich die Kellerdecke von Krumen altem, längst abgerissenen, dem Erdboden gleich gestrichenen Hause, auf der beim Baum eingraben der Baum, darunter aber auch die Nachgeburt eingebettet worden war.

Da hier nun aufgrund der misslichen Lage der undurchlässigen Betondecke nur Wasser von oben, aber kein Ablauf nach unten bestand, entwickelte sich alles zu einem faulig und übel riechenden Drama, welches den frischen, jungen und so anmutig dastehenden Baum mit Sicherheit ins Jenseits gebracht, und somit die Basis eines jungen Jungenlebens nachhaltig negativ beeinflusst hätte. Denn ein Baum auf einer Nachgeburt gepflanzt, steht für das Leben an sich. Fällt er, wird es ein schweres Dasein sein für die junge Seele Mensch. Und das, so stehts seit Urzeiten geschrieben, gelt‘ für Allezeit.

Und wäre da nicht die Bestuhlung, und somit der Zufall der Zwangsumpflanzung, zudem der ebenso zufällig gewünschte Führerschein und das zufällige Ergebnis des stechenden Gestanks der faulenden Nachgeburt gewesen, ja dann…

Aber Zufälle gibt’s schließlich keine und der Sohnemann, der nichts von alledem weiß, ja der gedeiht – auch heuer noch – wohl und prächtig angesichts der Rettung des Platanenbäumchens in neuem irdenen Gestade. Die Reste der Nachgeburt wurden übrigens unter vorgehaltener Hand und unter großem Protest des Führerschein sehnenden Jünglings abgewaschen und erneut unter das noch recht fragile Wurzelwerk des Bäumchens eingebettet. Ja, wie denn auch sonst?

Schlussendlich steht der Platanenbaum nun ganze fünf Meter gen Norden und einige zwei Meter gen Landstraße am Grundstücksrande und gedeiht in solcher Pracht, dass es tatsächlich nicht zu verleugnen sein kann:

Er dankt das Versetzen mit steter Kraft, Blüte und enormer floraler Vitalität.

🙂

RG, 20.01.2023

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