Schreibstube, Wirmighausen

Wirmighauser Sagenwelt

By Jack R Goebel

In jeder Gegend sind Sagen und Volksmärchen im Umlauf, die von Generation zu Generation weitergegeben wurden, so auch in Wirmighausen.

Die meisten Sagen ranken sich um den Mörderkopf, die gleichzeitig für die Dörfer Flechtdorf, Gembeck, Helmscheid und Mühlhausen Gültigkeit haben und auch von diesen in ihren Ostsippenbüchern aufgeschrieben wurden. Wir beschränken uns deshalb auf die allgemeine Schilderung des Mörderkopfes und die mit Wirmighausen verbundenen Sagen.

Der Riese Gür

Ein Volksmärchen erzählt, dass zur Zeit der Titanen in unserer Gegend ein Riese mit Namen Gür gelebt haben soll. Nach seinem Ableben (wovon es mehrere Versionen gibt – mal fand er seinen Tod durch Erschlagen, dass andere Mal durch Ertrinken nach einem Unwetter) fand er seine letzte Ruhestätte bei uns und bescherte uns mit seinem Grab den Gürenberg. Sein Kopf kennzeichnet die höchsten Stellen des Berges, während die Füße das Tal zum Katenberg abgrenzen.

Der Mörderkopf

Unweit von Flechtdorf, in der Nähe des Bünighäuser-Hofes, erhob sich einst auf einer Anhöhe eine feste Burg. Sie lag unmittelbar an der „Alten Heerstraße“, die von der mächtigen freien Reichsstadt Frankfurt heraufkam und zu den großen Handelsstädten Bremen und Hamburg führte. So kam es, dass auf dieser Straße viele Kaufleute mit ihren kostbaren Gütern gegen Norden oder auch gegen Süden zogen. Auf der Burg aber saßen als beutelüsterne Raubritter die Herren von Windehusen.

Sie legten sich mit ihren Knechten in einen Hinterhalt und stürzten sich auf ihre Opfer, wie der Habicht auf das Federvieh. Selbst in der Dunkelheit gab es kein Entrinnen. Ein quer über den Fahrweg gespannter Draht, welcher mit einer Schelle auf der Burg verbunden war, meldete den Durchzug jedes Fuhrwerkes. Manch friedlicher Kaufmann, der ahnungslos auf der Heerstraße zog, wurde von den Herren von Windehusen mit samt seiner Begleitung gefangen genommen, zur Burg geschleppt und in ein finsteres Verlies geworfen. Hier musste er elend umkommen, wenn er keine Freunde und Verwandte hatte, die ihn gegen ein hohes Lösegeld freikauften.

Heute findet man an dieser Stelle nur noch eine Anhöhe mit Graben. Aber die Freveltaten der Burgherren haben sich tief in das Gedächtnis der Menschen eingeprägt, denn noch heute heißt diese Anhöhe, auf der einst die Burg der Ritter von Windehusen (auch Wingehusen) gestanden haben soll, der Mörderkopf.

(Lit.: Friedem. Langenbeck)

Der Spuk auf dem Mörderkopf

Ein reicher Bauernsohn aus Götten in Wirmighausen hatte seine Braut in Mühlhausen. Diese besuchte er alle Sonntage; nachts musste er dann über den „gruseligen“ Langen Driesch zurück. Weil er aber eine ängstliche Natur war, nahm er einmal seinen Bruder mit, damit er länger in Mühlhausen bleiben konnte. Als beide nun auf dem Heimwege in der Geisterstunde über das Lange Driesch kamen, sahen sie auf dem Mörderkopf ein helles Licht. Der jüngere Bruder war ein mutiger Kerl und wollte gleich nachsehen, was es damit auf sich habe. Der ältere jedoch zögerte erst, aber dann ließ er sich dazu überreden. So stiegen sie denn den Berg hinauf. Und da sie fast oben waren, sahen sie dort ein großes Feuer brennen, daneben stand ein alter Mann. Er stützte sich auf einen Speer und schaute in die Flamme. Neben ihm saß ein Hund mit ganz, ganz großen Ohren. Auf der anderen Seite des Feuers stand ein Sarg. Als die Beiden das erblickten, packte sie das Grausen. Sie liefen in einer Hast bis nach Wirmighausen.

Die Bedeutung dieser Geistererscheinung war den beiden Brüdern nicht bekannt, denn wären sie auf das Feuer zugegangen und hätten es mit einem Stock beiseite geschoben, so würden sie da reiche Schätze gefunden haben. Der Mann und der Hund konnten ihnen gar nichts anhaben.

(Lit.: OSB Helmscheid)

Die Wirmekisener Platt Version

Dat Louneken Wejiv

Twisken Wirmekissen und Oderup im Katmerich is sou en spitzer kahler Kopp däi hätt de Lounekenbuorch. Do hat freuher de Lounekenwejivere e’wuhnt. Dat sollt fründlike Louide wiäst sejn, un wijn säi mochten djim brachten säi auk mol enen grauten Kouken. Awwer bo en ungedofftet Kind wor, dat huolten säi sick nächtliker Tejit un verwässelten et mid ihren Blagen. Dat woren sou potthäßlike Bälger mi’dem grauten grinderigen Kopp.

Düsse Lounekenwejivere schüggenden dat Fujier, do’rumme läiten de Louide, däi sou’n klejinet Heideken hadden, däi ganze Nacht dat Lächt broujjen.

Do is äimol enne Frugge im Kingelbette wiäst, däi is mid ihrem klejinen Mäken un djim niggegeborenem Kinde alleine in enem House wiäst. In der Nacht, twisken twiälwe un äine, wann däi Geistere spouiket, wäjiede däi Wind dat Lächt out, un do kümmet dat Lounekenwejiv un hoult dat Heideken. Do sitt däi Motter un däi Dochter für Schreck drüwer stuorwen.

Und hier frei ins Neudeutsche.

Das launische Weib

Zwischen Wirmighausen und Adorf im Katenberg ist so ein spitzer kahler Fels, der heißt die Lounekenburg. Da haben früher die Lounekenweiber gewohnt. Das sollen freundliche Leute gewesen sein, und wen sie mochten dem brachten sie auch mal einen großen Kuchen. Aber wo ein ungetauftes Kind war, dass holten sie sich nächtlicher Zeit und vertauschten es mit ihren Kindern. Das waren so potthässliche Kinder mit einem großen schorfigen Kopf. Diese Lounekenweiber scheuten das Feuer, darum ließen die Leute, die ein kleines ungetauftes Kind hatten, die ganze Nacht das Licht brennen. Da ist einmal eine Frau im Kindbett gewesen, die ist mit ihrem kleinen Mädchen und dem neugeborenen Kind allein in einem Haus gewesen. In der Nacht zwischen zwölf und eins, zur Geisterstunde, wehte der Wind das Licht aus, und da kommt das Lounekenweib und holt das ungetaufte Kind. Da sind die Mutter und die Tochter vor Schreck drüber gestorben.         

(Lit.: Aumüller)

Ein Überfall im Zollhaus

Ein Wirt im Zollhaus zwischen Wirmighausen und Gembeck, der dort vor vielen, vielen Jahren lebte, stand mit den Räubern vom Mörderkopf im Bunde. Der Wirt musste die vorüberziehenden Kaufleute gut bewirten und sorglos machen. Dann kamen nachts die Räuber und brachten die reichen Leute mit ihren langen Messern um. Manche verschleppten sie auch in ein unterirdisches Gefängnis und erpressten Lösegeld von ihren Verwandten und Freunden. So waren schon mehrere Menschen auf seltsame Weise im Zollhaus verschwunden.

Einer aus der Räuberbande hatte sich bei einem schwerreichen Kaufmann aus Süddeutschland als Fuhrmann verdungen, um ihn seinen Spießgesellen in die Hände zu spielen. Der Kaufmann hatte in den Hansestädten wichtige

Geschäfte zu erledigen. Seine Frau aber wollte ihren Mann gar nicht reisen lassen, weil sie böse Ahnungen hatte, ihm könne unterwegs etwas zustoßen. Aber trotz ihrer Warnung machten sich der Kaufmann und sein Fuhrknecht mit einem schwerbeladenen Wagen auf die Reise. Nach langer, beschwerlicher Fahrt kamen sie eines Abends im Zollhaus an. Nachdem sie gut gegessen und getrunken hatten, wollte sich der Kaufmann schlafen legen. Der Fuhrknecht sagte scheinheilig: „Herr, lasst mich heute Nacht bei den Wagen wachen, hier soll es Räuber geben.“ Der Kaufmann willigte ein und ging zu Bett. Der Fuhrknecht aber lief hinaus in die Dunkelheit. Mit einem schrillen Pfiff weckte er die Räuber vom Mörderkopf und kam bald darauf mit der ganzen Bande zurück.

Ehe sie durch eine Geheimtür in die Schlafkammer des Kaufmanns traten, zog ihr Anführer an einem eisernen Hebel an der Wand. Da öffnete sich der Boden unter der Bettstelle des Kaufmanns, und das Bett stürzte polternd in die Tiefe. Es war dort nämlich eine Falltür angebracht, die zu einem tiefen Brunnen unter der Kammer führte.

Wie durch ein Wunder blieb der Kaufmann jedoch an der Wand hängen. Er hatte aus Vorsicht einen breiten Ochsenledergürtel, in dem sein Geldbeutel eingenäht war, an einen

Haken an der Wand gehängt und hielt das andere Ende fest um seine Hand geschlungen. Die Räuber wurden schrecklich wütend, als sie ihn noch lebend vorfanden, und schlugen und traten ihn. Dann nahmen sie ihn mit und warfen ihn in ihr Gefängnis.

Als der Kaufmann seinen Fuhrknecht unter den Räubern erblickte, merkte er, dass er verraten worden war. Trotzdem bat er den Knecht, zu seiner Frau zu gehen, sie würde ihm ein Lösegeld geben. Der Knecht ritt nach Süddeutschland. Aber er sagte der Frau, ihr Mann sei unter die Räuber gefallen und umgebracht worden, er selbst sei nur durch einen Zufall mit dem Leben davongekommen. Wie groß war da der Jammer der stolzen Kaufmannsfrau! Der Unhold störte sich nicht daran, sondern stellte ihr nach und wollte sie zwingen, ihn zu heiraten. Als sie sich weigerte, zog er ein langes Messer und erstach sie.

Nachdem er die Leiche im Garten verscharrt hatte, übernahm er das Haus und lebte in Saus und Braus.

Je länger der Fuhrknecht fortblieb, desto ungeduldiger wurden die Räuber. Sie quälten den Kaufmann auf das grausamste und lachten und spotteten über seine Schmerzen und Wunden.

Eines Nachts lag der Kaufmann, halb ohnmächtig vor Schmerzen, Hunger und Durst, in seinem Gefängnis, als plötzlich ein Lichtstrahl in die Dunkelheit fiel und eine Taube vor ihm auf die Erde flatterte. Er hörte seinen Namen rufen, und als er genauer hinsah, bemerkte er, dass aus den Brustfedern der Taube ein Blutstropfen quoll. Wieder hörte er eine Stimme, die rief: „Schwarz ist der Tod und blutig die Nacht. Ich wurde unschuldig umgebracht.“

Der Kaufmann saß wie versteinert da und brachte kein einziges Wort heraus. Da senkte die Taube ihr Köpfchen, und ein Blutstropfen fiel auf den Boden, und sie flog weg.

In der nächsten Nacht, Schlag zwölf, kam die Taube wieder; wieder sprach sie ihn an, aber er konnte nichts sagen. In der dritten Nacht aber sprach er die Taube an. Sie zupfte eine Feder mit dem Schnabel aus ihrem Flügel und ließ sie dem Kaufmann in die Hand fallen.

„Wenn du auf dieser Feder bläst“, sagte die Taube, „dann wirst du Hilfe erhalten. Wenn du aber eine Katze siehst, dann musst du sie erschlagen und ihr das Herz aus dem Leibe reißen. Mit ihrem Herzblut kannst du mich erlösen.“ Nachdem sie das gesagt hatte, schlug sie mit den Flügeln und flog davon.

Der Kaufmann blies auf der Feder, aber nichts geschah. Auf einmal sah er aus einer dunklen Ecke eine große schwarze Katze mit grünglühenden Augen kommen, die ihre messerscharfen Krallen zeigte. Da zog der Kaufmann geschwind einen Stiefel aus und schlug die Katze damit tot.

Dann nahm er ihr das Herz aus der Brust und steckte es in die Tasche. Wieder blies er auf der Feder. Da verschwand der Katzenbölzer, und an seiner Stelle stand ein altes, verwittertes Männchen und fragte ihn nach seinem Begehr. „Mach mich zu einer Taube“, sagte der Kaufmann, und schon war er ein Täuberich und flatterte durch ein Loch in seinem Gefängnis in die Freiheit. Er flog lange nach Süden und gelangte schließlich in seine Heimatstadt.

Vom Taubenschlag aus konnte er seinen ungetreuen Fuhrknecht in seinem Hause sehen, aber seine Frau suchte er vergebens. Durch ein offenes Fenster flog er in sein Zimmer, zog die Feder unter dem Flügel hervor, blies darauf und ließ sich von dem eisgrauen Männchen seine menschliche Gestalt wiedergeben. Dann musste das Männchen die Taube mit dem Blutstropfen herbeischaffen. Er bestrich die Taube mit dem Herzblut der Katze, und schon lag seine liebe Frau frisch und lebendig in seinen Armen.

Den bösen Fuhrknecht aber stellten sie vor Gericht. Dieser verriet alle seine Spießgesellen und auch den ungetreuen Wirt vom Zollhause. Sie wurden in Ketten gelegt und nach dem Urteil mit dem Schwert vom Leben zum Tode befördert. Der Kaufmann und seine Frau aber lebten noch lange in Frieden miteinander.

(Lit.:Aumüller)

Historie: Windehusen wurde um 1510 als Wüstung erwähnt, die Einrichtung der Zollstation erfolgte frühestens um 1555

Copyright und Autorenrechte

Alle Texte und Links unterliegen der Urheberschaft der jeweiligen Autoren, Gemeinden, Verfasser, dem Buch „Wirmighausen – Waldeckische Ortssippenbücher, Band 66 und sind geschützt.

Ich habe die oben stehenden Geschichten und Sagen aus dem genannten Werk übernommen, und bitte um Nachricht, sollten diese (oder andere in diesem Internetauftritt) Veröffentlichungen oder Verlinkungen nicht gewünscht sein.
Danke

Beste Grüße, R. Göbel

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